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Insight

Interview E-Mobilität: Teil 2

„Der Anspruch für jeden Hersteller muss sein, mindestens den Marktanteil zu halten, den er vorher mit Verbrennern hatte.“

Der rasant wachsende E-Mobilitätsmarkt stellt Hersteller vor große Herausforderungen und bringt viele Fragen mit sich. In diesem zweiteiligen Interview beleuchten wir das Thema mit unserem Consultant Tobias Grün aus verschiedenen Perspektiven. Während wir uns im ersten Teil mit den Einflüssen von steigenden E-Mobilitätsanteilen auf den Sales-Bereich beschäftigt haben, geht es jetzt im zweiten Teil um die Serviceperspektive. Außerdem gibt Tobias einige Empfehlungen für den Umgang mit E-Mobilität im Vertrieb, im Service und in der Netzplanung.

Tobias Grün

Tobias Grün

Senior Consultant Network Development

Tobias Grün ist seit 2012 bei Management Services beschäftigt und als Teamleiter im Bereich Network Development tätig. Tobias führt gemeinsam mit seinem Team Netzstudien durch und berät weltweit agierende Automobilhersteller bei Ihrer Händlernetzplanung.

Tobias, im ersten Teil des Interviews hattest du die Werkstätten schon kurz erwähnt. Wenn also deiner Meinung nach der Einfluss von E-Fahrzeugen auf den Sales-Bereich stetig abnehmen wird, wie sieht es dann mit der Service-Perspektive aus? Was gibt es dort für Herausforderungen oder Fragen durch E-Mobilität?

Naja, Hersteller und Händler sind ja im gewissen Sinn verquickt. Das heißt, der Hersteller braucht seine Händler und dessen Werkstätten, da sie die Fahrzeuge servicen und Kundenkontakt haben. Das ist natürlich für die Werkstätten eine Herausforderung mit Blick auf E-Mobilität. Je nachdem, wie schnell und wie stark der Elektroanteil wächst, desto mehr stellt sich auch für den Hersteller die Frage, was das für die Werkstätten bedeutet.

Es kann positive Effekte haben, z. B. wenn – nehmen wir mal ein Extrembeispiel – bei einem Hersteller ab morgen nur noch Vollelektrofahrzeuge verkauft werden sollen und das mit dem gleichen Volumen wie vorher mit Verbrennern. In dem Fall kann sich das zunächst positiv auswirken, weil E-Mobilität noch relativ neu ist und die meisten freien Werkstätten noch nicht so gut darauf eingestellt sind wie die Vertragswerkstätten im Hinblick auf geschultes Personal, Geräte etc. Dann geht die Retention Rate hoch. Ein negativer Effekt wäre dagegen, dass Teileumsätze abnehmen, z. B. der Verkauf von Ölfiltern, weil man keine Ölwechsel im Getriebe mehr braucht. Andere Leistungen wiederrum, z. B. die regelmäßige Inspektion, sind von ganz anderen Dingen wie der Kilometerleistung o. ä. abhängig und haben deshalb weniger mit dem Wandel zu E-Fahrzeugen zu tun.

Die essentielle Frage ist also: Was bedeutet ein steigender Elektroanteil im Vertrieb für unser Werkstattgeschäft? Ich kann die Autos ja nur verkaufen, wenn ich dem Kunden ein gutes Werkstattnetz anbiete. Dafür muss es natürlich auch attraktiv genug sein, eine Werkstatt zu eröffnen. Das heißt, es muss genug Potential in Form von servicebedürftigen Fahrzeugen da sein. Aber angenommen, dass sich die Fahrzeuganzahl nicht signifikant erhöht, kann ich so ein Werkstattnetz nur erhalten und die Marke für Kunden attraktiv lassen, wenn ich dort gute Umsätze anbiete. Und falls da ein Risiko ist, dass diese Umsätze durch eine andere Antriebsart nach unten gehen, dann muss ich schauen, wie ich das ausgleichen kann. De facto werde ich ja meine Elektroautos nicht los, wenn ich plötzlich aufgrund des sinkenden Werkstattumsatzes auf Dauer die Hälfte meiner Werkstätten nicht halten kann und meine potentiellen Kunden viel weiter fahren müssen.

Das heißt, dass sich der Einfluss des Elektro-Verkaufsanteils innerhalb der Netzplanung eher auf das Werkstattnetz auswirkt?

Genau. Für die Sales-Netze stellt sich die Frage nicht so. Da geht es eher darum, was ein steigender Online-Verkaufsanteil mit dem Sales-Netz macht. Aber für die Service-Netze spielt die Elektromobilität eine große Rolle, also z. B.: Wie viele Elektrofahrzeuge werden wohl im Bestand sein? Wie groß ist der Anteil und was bringt das an Umsatzperspektiven mit sich bzw. erreiche ich mehr Kunden und kommen sie häufiger oder seltener (Stichwort Retention Rate)? Dauert der Service länger oder kürzer und wie ist der Teileumsatz im Verhältnis? Sinkt der Werkstatt-Umsatz? Brauche ich mehr oder weniger Kapazitäten? Habe ich am Ende überall riesige Werkstätten, die nur noch zu 60 % ausgelastet sind o. ä.? Oder habe ich hinterher zu wenig Fläche, um die Fahrzeuge zu servicen? Ja, das sind eigentlich die Kernfragen, mit denen wir uns im Consulting zu dem Thema beschäftigen.

In diesem Zusammenhang wird im öffentlichen Diskurs ja auch oft die Ladesäuleninfrastruktur angesprochen. Inwieweit spielt das Thema in eure Arbeit bei den Netzstudien hinein?

In unserer Zusammenarbeit bei Netzstudien spielt das Thema eine nicht ganz so große Rolle. Die Ladeinfrastruktur ist zwar zurzeit definitiv noch nicht optimal, da noch nicht überall genug Ladesäulen vorhanden sind, aber ich glaube, dass das gar nicht ein so dramatisches Problem ist. Es gibt genug Leute, die eine Lösung dafür haben und es werden ja auch nicht alle Fahrzeuge von einem Moment auf den nächsten gegen Elektrofahrzeuge ersetzt. Das heißt, es ist genug Raum und Zeit für eine schrittweise, bedarfsgerechte Evolution des Ladepunktnetzes da. Außerdem können E-Fahrzeuge auch potentiell an vielen Orten aufgeladen werden, z. B. Zuhause, beim Arbeitgeber, auf dem Supermarktparkplatz usw. Das heißt, es gibt viele Leute, vor allem in Städten, die vielleicht nicht eine eigene Ladesäule einrichten können, aber de facto auf eine bestehende Infrastruktur zurückgreifen können. Für einen E-Fahrzeugbesitzer, der nur 10 km täglich fährt, könnte es dann beispielsweise schon reichen, beim Einkaufen auf dem Parkplatz zu laden. Also wird man auch in solchen Gegenden Kundschaft finden können, vor allem, wenn sich der E-Fahrzeugmarkt komplett als Massenmarkt etabliert hat. Die Infrastruktur dafür wird kommen, bedarfsgerecht, Stück für Stück. Da gehe ich fest von aus.

Nicht zuletzt müssen wir uns auch anderen Fragen stellen für unsere Kunden, nämlich wie wir sie in ihrer Unternehmensstrategie unterstützen können. Dazu gehören Unterstützung für Vertrieb und Service, Beratung für die strategische Ausrichtung der Netze, Erfolgsmessung, Leistungsmessung und -steuerung etc. Ladesäuleninfrastruktur kann je nach Analyse dazugehören, aber da spielen noch andere Sachen mit rein, die vielleicht noch wichtiger sind. Marken, die in 3 Jahren 30-40 % Elektrofahrzeuge in ihrem Neuwagenportfolio haben, befinden sich dann in einer Größenordnung, in der Ladesäulendaten alleine nicht so aussagekräftig sind, um den Bedarf in der Netzentwicklung herauszufinden. Ich gehe davon aus, dass man im Rückblick auf die E-Fahrzeugverkäufe der vorigen Jahre dann feststellen würde, dass nicht alle nur rund um eine Ladesäule herum verkauft wurden. Ladesäulen werden ja auch nicht nur von ortsansässigen Leuten genutzt, sondern werden auch von Personen außerhalb des Gebiets frequentiert, sodass schwer auf Absatzchancen in direkter Nähe der Ladesäule zu schließen ist. Andere Daten sind da eher interessant, z. B. zu soziodemografischen Faktoren wie Alter und Kaufkraft oder zu Mobilitätsfaktoren wie der Reduzierung von Individualverkehr in den Städten. Auch die Frage, wo viele Einfamilienhäuser und Menschen mit eigener Lademöglichkeit wohnen, könnte in vielen vorstädtischen und ländlichen Bereichen ein viel größerer Hebel sein.

Ich will damit sagen, dass die Ladesäulenstandorte i. d. R. nicht der einzige Datenpunkt sind, den man sich anschauen sollte, um Potentiale für E-Fahrzeuge zu analysieren.

Wenn also die Ladeinfrastruktur nur ein kleiner Baustein ist, wie unterstützt ihr dann die Kunden beim Thema E-Mobilität? Kannst du da nochmal näher drauf eingehen?

Tja, Stichwort Reporting, Marktdaten, Leistungsmessung. Elektromobilität ist kein neuer Markt im Sinne von „zusätzlicher Markt“, aber es ist trotzdem ein neuer Markt. Es ist eine neue Technologie, die sich etabliert und deshalb zu Marktanteilsverschiebungen bei den Herstellern führen kann. Über neue Technologien, neue Modelle und neue Marketingkonzepte kann man Wettbewerbern da durchaus Kunden abnehmen. Es ist also definitiv ein Wettbewerbsfaktor in den kommenden Jahren und da spielt es wieder eine entscheidende Rolle, die Marktentwicklung im Blick zu haben: Wie und wo ist man erfolgreich mit seiner Elektropalette? Und in welchen Ländern und Mikromärkten ist man im Vergleich zum Wettbewerb stark und wo schwach? Wie entwickelt sich das mit der Zeit beim Kunden? Das ist schon relevant, weil es darum geht, sich seine heutige Position der Marktanteile zu sichern oder noch auszubauen. Würde z. B. die ganze Branche den Weg wählen, in Zukunft nur noch auf Elektrofahrzeuge zu setzen, und eine Marke würde dabei technologisch den Anschluss verlieren, dann könnte sie sich hinterher nachhaltig auf einem ganz anderen Marktanteilsniveau bewegen. Da ist es ganz wichtig gegenzusteuern, also die eigene Handelsorganisation im Blick zu haben, die Performance zu messen, zu steuern und nachzufassen im Bereich Elektromobilität.

Der Anspruch für jeden Hersteller muss sein, mindestens den Marktanteil zu halten, den er vorher mit Verbrennern hatte. Und da kommen wir mit Reporting und Marktanalyse ins Spiel, z. B. mit aktuellen individualisierten Reports, die auf die Marken zum Thema E-Mobilität abgestimmt sind. Und auch für den Bereich Netzplanung ist das ein Thema, dass sich mit wachsenden Vertriebsanteilen von Vollelektrofahrzeugen etabliert. Dieser Einfluss auf die Händlernetze muss ebenfalls grundlegend marktspezifisch untersucht werden: Was bedeuten die marktspezifischen Absatzvolumenplanungen der Hersteller im Bereich Elektrofahrzeuge für die Werkstätten? Und wie sollte da jetzt gegengesteuert werden, z. B. durch Betrachtungen der Kapazitäten einzelner Standorte? Für Fahrzeuguntersuchungen kann vielleicht auch weiterhin die aktuelle Standortanzahl beibehalten werden, unabhängig von Dingen wie der Anzahl der Hebebühnen oder der spezialisierten Mechaniker, die für E-Fahrzeuge benötigt werden. Das Ganze muss beziffert werden und da können wir natürlich unterstützen und ihnen darstellen, wie sich das für ihre erste Bastion Service-Netzwerk eigentlich darstellt in der Entwicklung der kommenden Jahre.

Was rätst du also Herstellern und Händlern? Welche Empfehlung kannst du abschließend geben?

Realistisch muss man sagen, dass es in den Massenmarkt geht und nur substituiert wird, anstatt dass neue Kunden erschlossen werden. Das wird in den nächsten Jahren überall fast in gleichem Maße passieren, sodass nicht mehr wie jetzt nur an bestimmten Stellen Elektro-Hochburgen sind und E-Mobilität kein Sonderfaktor mehr ist. Das Beste, was unsere Kunden in der Situation haben, sind die Kenntnisse des Automotive Markts der Vergangenheit, denn dieser Markt ist ein verhältnismäßig träges Konstrukt. Es wird viel Geld ausgegeben und es gibt eine Haltedauer von i. d. R. mehreren Jahren. Das heißt, die Verteilung des Markts wird sich nicht so plötzlich ändern. Weder ziehen innerhalb von 3 Jahren alle Menschen aus einem Gebiet weg, noch steigen alle Menschen in einem Gebiet innerhalb kürzester Zeit auf einen anderen Trend um. Selbst wenn der Trend stark ist, dauert es lange, bis sich das in der Region voll durchgesetzt hat, da ja auch viele Leute gerade erst ein Fahrzeug gekauft haben, dass sie dann auch erst einmal behalten. Natürlich gibt es hier und da immer ein bisschen Fluktuation, z. B. Land- oder Stadtflucht. Das findet nicht über Nacht statt und die Kunden sind da, wo sie gestern auch waren. Es gibt die üblichen Verschiebungen, die aber nicht zwangsläufig immer direkt mit E-Mobilität zusammenhängen. Da kann es auch kleine Einflussfaktoren geben wie bessere/schlechtere Ladeinfrastruktur, mehr/weniger Einfamilienhäuser oder höhere/niedrigere Einkommen. Das sind alles Faktoren, die wir heute noch haben, aber in den kommenden Jahren mehr und mehr nivelliert werden. Dann läuft das aus und wir sprechen einfach von dem Individualmobilitätsmarkt, wie wir ihn heute haben.

Die Kernaussage ist: Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken herauszufinden, wo der Elektromobilitätsmarkt ist, und orientieren Sie sich in Marktanalyse und Netzplanung an dem, was Sie schon kennen. Der Elektromobilitätsmarkt ist da, wo der Mobilitätsmarkt heute ist und auch in der Vergangenheit schon war. Es werden nicht komplett andere Kunden angesprochen, die einer anderen Verteilung folgen, sondern es sind dieselben Kunden, die vorher mit Verbrennern angesprochen wurden. Elektromobilität darf als Normalität angesehen werden.

Stand Mai 2021

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